#11 Cambia todo cambia

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So. Jetzt ist es wohl soweit. Das war’s, ein Jahr ist vorbei. Ich sitze gerade am Flughafen und warte auf das Flugzeug, das mich ans andere Ende der Welt bringen wird und auch wenn ich eigentlich weiß, was mich erwartet, bin ich trotzdem total nervös.
Die letzte Zeit in Paraguay ist so schnell vergangen und hier herrschte aufgrund einer Sehnenscheidenentzündung leider auch schon seit längerer Zeit Schweigen, da das Schreiben am Computer immer ein Kampf war. 

Mit meinem Geburtstag endete eine unglaubliche Zeit hier in Paraguay, die ich mit Sicherheit nie vergessen werde. Ich vermisse jetzt schon den Geruch frischer Chipa auf der Straße, das Springen aus dem Bus, weil der Busfahrer mal wieder zu faul ist anzuhalten, den bunten Himmel, der sich je nach Wetterlage gelb, rosa oder lila verfärbt und natürlich meine Arbeit, die Kinder. Ich hoffe so bald wie möglich wiederkommen zu können. Bis dahin bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als in Erinnerungen zu schwelgen und mich zu freuen, dass ich die Chance hatte, so ein schönes Jahr erleben zu dürfen. 

Adiós Paraguay.

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Kurzmitteilung

Der Wecker reißt mich mit seinem lauten und penetranten Piepton aus meinen Träumen und ich brauche einen Moment bis ich mich zu Recht finde. Links und rechts von mir liegen fremde Menschen, schlafend in die wildesten Träume versunken und erst als Lorenz an der Kante meines Hochbettes erscheint, fällt es mir so langsam wieder ein. Wir sind in dem 6-Bett-Zimmer eines Hostels in San Pedro de Atacama, Chile, und werden in einer halben Stunde zu unserer dreitägigen Bolivientour abgeholt. Mit pochendem Herzen setze ich mich auf und fange unter Stillschweigen an, meine Sachen zu packen; schließlich wollen wir ja niemanden aufwecken!

Fünf Minuten vor Abfahrt waren dann alle Klamotten im Rucksack verstaut, der Hut auf dem Kopf und der Wasserkanister wartete neben meinen Füßen zusammen mit uns auf den Kleinbus der uns abholen und zunächst einmal zur chilenischen Grenze transportieren sollten. Nach einer kurzen Fahrt durch die um diese Uhrzeit verlassene Wüstenstadt , kamen wir beim Ausreiseposten an und stellten uns in die Schlange, die uns dort erwartete, um uns unseren Stempel abzuholen. Während des Wartens lernten wir zwei sehr nette Backpacker aus den Staaten kennen, die – wie sich später herausstellen sollte – zusammen mit zwei ziemlich coolen brasilianischen Studenten, unser  Wegbegleiter für die nächsten drei Tage waren.
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Nachdem wir erfolgreich ausgereist waren, wurden wir in einem Kleinbus über Stock und Stein zum bolivianischen Einreiseposten gebracht, der sich mitten im Nichts zwischen Sand, Geröll und Bergen befand. Dort wurden wir in unsere Jeeps aufgeteilt und traten zu siebt (zusammen mit unserem durchaus freundlichen Reiseführer) unsere große Reise an.  Unsere Route führte uns durch die Wüste Boliviens, vorbei an Lagunen voller Flamencos, grünen Seen, Bergen, Geysiren, riesigen Steinhaufen, die nur darauf warteten beklettert zu werden und natürlich jede Menge Lamas. Wie ich diese Tiere liebe! Wir verbrachten eine Nacht mitten in der Wüste und badeten in einer warmen Quelle, auf über 4.000 Meter Höhe. Aber auch die langen Autofahrten wurden nie langweilig, denn wir unterhielten uns auf Spanisch, Englisch, Portugiesisch und lernten nebenbei immer mehr Wörter auf Quechua – der Indigenensprache Boliviens. Es wurde viel diskutiert, ausgetauscht und gelacht und auch als wir durch ein riesiges Gewitter in mitten eines Geisterdorf im bolivianischen Nirgendswo die zweite Nacht verbringen und neben einem Kindersoldatencamp in einer absoluten Bruchbude schlafen mussten, trübte das die Stimmung innerhalb der Gruppe kaum. Kaltes Wasser und Tierchen im Bett lassen sich mit einem Kartenspiel und etwas Champanger gerne verdrängen. In dieser Nacht habe ich übrigens zum ersten Mal in meinem Leben Lamafleisch gegessen. Und ich muss sagen: Es ist wirklich sehr, sehr lecker!OLYMPUS DIGITAL CAMERAOLYMPUS DIGITAL CAMERA

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Den nächsten Tag machten wir uns auf, um unseren Weg in Richtung Salzwüste fortzusetzten. Wir besichtigen den alten Bahnhoffriedhof in der Nähe der Wüste und fuhren uns beinahe in einer großen Sanddüne fest. Schließlich erreichten wir dann die Salzwüste. Bis zu diesem Zeitpunkt, war es definitiv das Beeindruckteste, was ich je in meinem Leben gesehen habe. Mit über 10.000 Quadratmetern erstreckte sich vor mir die größte Salzwüste der ganzen Welt, die sich durch den Regen der vorherigen Nacht in eine riesige Spielfläche verwandelt hatte. Bis zum Rande des Horizontes war alles eins und je tiefer wir in die Wüste hereinfuhren, desto größer war das Gefühl zu träumen. Es war als würden wir uns mit den Wolken in der Unendlichkeit spiegeln. Unwirklich und wunderschön zugleich.

OLYMPUS DIGITAL CAMERAWir aßen zu Mittag, probierten das leckere Salz zu unseren Füßen und genossen die Stille und die Einzigartigkeit des Momentes. Am Ende des Tages wurden wir dann wieder zurück nach Uyuni gebracht, einem kleinem Ort am Rande der Salzwüste und Lorenz und ich beschlossen uns direkt auf den Weg nach La Paz zu machen. Wir machten es uns in einem kleinen Hinterhofrestaurant gemütlich, welches ganz alleine von einem 10-jährigen Mädchen geschmissen wurde und warteten auf die Abfahrt unseres Busses – bis es plötzlich ein Sturm aufzog. Zuerst fing es an sachte zu regnen, dann immer heftiger, bis schließlich Hagelkörner vom Himmel fielen und der Strom ausfiel. Die Wassermassen bahnten sich langsam aber sicher ihren Weg durch Türen und Dächer und das kleine Mädchen brachte uns mit einem Wischmob in der Hand die heiße Schokolade, die wir bestellt hatten, während ihre Mama in aller Seelenruhe strickend in der Ecke des Raumes saß. Angesichts des Weltuntergangs, hatten wir schon Angst, die Nacht zwangsläufig in Uyuni verbringen zu müssen, wurden dann aber doch noch positiv überrascht, als der nette Mann vom Busunternehmen uns mitteilte, dass der Bus nach La Paz bei jeder Wetterlage abfahren würde. OLYMPUS DIGITAL CAMERAEin Hoch auf Bolivien! – war das Erste, was mir durch den Kopf schoss, als ich mich schon auf den warmen Bus freute, der uns wie durch Zauberhand über Nacht nach La Paz bringen sollte. Als wir dann ein paar Stunden später in der Dunkelheit feststeckten, ohne funktionierenden Bus, dachte ich das nicht mehr. Und auch nicht, als uns endlich ein klappriger Ersatzbus erreichte, der wie sich herausstellte leider zwei Sitze weniger hatte, als der vorherige. Denn wer waren wohl die zwei Deppen, die die restliche Fahrt nach La Paz stehend verbringen durften?  Bis zu diesem Zeitpunkte hätte ich es übrigens nicht für möglich gehalten, dass man im Stehen einschlafen könnte. Der nette ältere Herr auf den ich heruntergesackt bin, wohl auch nicht. Nach circa 3 Stunden kamen wir dann im wunderschönen La Paz an und waren erstmal total überwältigt. Die Stadt liegt in einem bezaubernden Tal, umringt von schneebedeckten Bergen. Die Häuser erstrecken sich entlang der zahlreichen Hänge und von oben kommend, hat man einen wunderbaren Ausblick auf die ganze Stadt. Von Anfang an wirkte alles an diesem Ort irgendwie authentisch. Die Frauen mit ihren Trachten, die Schuhputzerjungs, die in Lorenz und mich an unsere Jungs in Asunción erinnerten und die Menschen die dir an jeder Ecke was zu naschen verkaufen wollen. Nachdem wir einmal angekommen waren, schlenderten wir etwas durch die Stadt und machten einen Abstecher in das Coca-Museum, welches sich auf einem kleinen Hinterhof befand. OLYMPUS DIGITAL CAMERAOLYMPUS DIGITAL CAMERADer Eintritt war kostenlos. Es war alles sehr klein und beschaulich, aber trotzdem sehr interessant. Der Höhepunkt des Ganzen war definitiv, als der freundliche Besitzer des Museums uns auf eine Runde Coca  einlud – verfeinert mit Bananenasche. Nach kurzer Zeit war mein Mund ganz taub und das Einzige, was zurückblieb, war eine Mischung des minzigen Geschmacks der Asche auf meiner Zunge und den bitteren Boca-Blättern, die sich zwischen meinen Backenzähnen und meinen Wangen befanden. Denn auch wenn der Begriff „Kauen“ häufig in die Irre führt: Coca-Blätter kaut man gar nicht. Man zermalmt sie etwas und behält sie dann für circa eine halbe Stunde im Mund, ehe man sie ausspuckt.
Lorenz und ich verließen also betäubt und glücklich das Museum und krönten den Tag mit einem Drei-Gänge-Menü in einem kleinen urigen Restaurant, ganz in der Nähe des Hexenmarktes.
Eine wunderbar schmeckende Quinoa-Suppe, ein Hauptgericht mit Lamafleisch und als Nachtisch einen flambierten Apfel – das alles für ganze 4,50€. Dazu eine Kanne frischgepresster Maracuya-Saft und das Leben war für einen kleinen Moment perfekt.
Am nächsten Tag sollten wir dann die schöne Hauptstadt auch schon wieder verlassen, immerhin war unser Hauptziel ja den Machu Picchu zu erreichen. Also kauften wir uns ein Busticket nach Cuzco. Da die Abfahrtszeit 13.00 Uhr war, packten wir früh morgens unsere sieben Sachen und bestiegen mit Reiserucksack und ohne Orientierung einen Aussichtspunkt, den uns eine Frau aus dem Hostel empfohlen hatte. Vollgeschwitzt und außer Atem kamen wir oben an, wurden jedoch umgehend für die Anstrengungen entschädigt – denn auf über 4.000 Meter Höhe ist ein Anstieg zu einem Aussichtspunkt in vielerlei Hinsicht atemberaubend. (Man, sind meine Wortspiele mal wieder gut!)

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Schließlich traten wir dann unsere Weiterreise nach Cuzco pünktlich an und verließen in einem kleinen Bus die Hauptstadt. Gerade, als ich in Gedanken schwelgend aus dem Fenster sah, brach plötzlich ein riesiges Feuer unter meinem Fenster aus – und kurz danach auch die Panik im Bus. „Feuer!“ rief es von allen Seiten, alles stürmte zum Ausgang, ein Mann sprang aus dem Fenster, während ich verzweifelt mein Tagebuch suchte. Kurz darauf schwappte dann aber bereits die Entwarnungswelle zurück. Ein Kleinbus neben uns war in Flammen aufgegangen, weswegen unser Bus schnellst möglichst – mit allen Passagieren an Bord weiterfahren musste. Lorenz und all die anderen, die schon nach draußen geflüchtet waren, kamen also wieder zurück und so konnte unsere Fahrt doch noch fortgesetzt werden. Nachdem wir eine ganze Weile unterwegs waren, und an einer Stelle des Weges sogar den Titicaca-See zusammen mit unserem Bus per Boot überqueren mussten, kamen wir schließlich um kurz vor vier im noch schlafenden Cuzco an. Da wir weder Hostel, noch Stadtplan hatten und uns die Idee  in der Dunkelheit vollbepackt und ohne Plan durch die Gegend zu laufen nicht gerade sehr klug vorkam, entschieden wir  uns kurzerhand wenigstens bis zum Tagesanbruch auf dem Terminal zu bleiben. Ich schlief etwas, schrieb in meinem Tagebuch und wünschte mir nichts sehnlicher als einen warmen Kaffee in meiner Hand. Nach ein paar Stunden warten, machten wir uns dann auf den Weg, fanden schnell ein Hostel – wobei schnell hier auch relativ zu sehen ist – und buchten sogar noch am gleichen Tag unsere Machu-Picchu-Tour. Besser konnte es also gar nicht laufen. Die nächsten zwei Tage klapperten wir dann diverse Touristenpunkte der Stadt ab, besuchten Museen, bestiegen unzählige Stufen, um den Cristo Blanco zu erreichen und lernten die schöne Stadt im Herzen Perus kennen und lieben.

OLYMPUS DIGITAL CAMERAUnd dann war der große Tag endlich gekommen. Wir brachen kurz nach dem Sonnenaufgang auf und fuhren zunächst mit dem Bus zur Bahnstation. Während der Fahrt dorthin lief traditionelle Panflötenmusik a la „El condor pasa“ und vor uns erstreckte sich Perus wundervolle Landschaft. Der Nebel zog über die grünen Anbauflächen, als würde er jede Pflanze einzeln wecken, Tiere frei von Leine und Sorge durchstreiften die Felder, Häuser reihten sich an einen aufbrausenden Fluss, Vater und Sohn beim Fischen, unangetastete Wälder, Natur. Mein Herz wäre mir am liebsten aus der Brust gesprungen und gleich dort geblieben. Doch wir fuhren weiter, bis wir den Bahnhof erreichten. Mitten zwischen grünen Bergen und goldenen Flüssen befand sich das Gleis auf dem der Hogwarts –Entschuldigung!– Machu-Picchu-Express uns schon freudig erwartete. Qualm stieg aus dem kleinen Schornstein unserer Lok, als wir uns den Weg entlang der Berghänge und Holzhütten bahnten. Der Río Urubamba tanzte fröhlich neben den Gleisen umher und es schien mir als folgte alles, was sich hinter meiner Glasscheibe abspielte einem bestimmten Rhythmus, der mir selber fremd ist.OLYMPUS DIGITAL CAMERA
Lorenz, unser Reiseführer und ich stiegen bereits vor der Endstation aus, um die historische Inka-Stätte über den traditionellen Inka-Pfad zu erreichen. Was danach kam, kann ich ehrlich gesagt schwer in Worte fassen, deswegen bediene ich mich jetzt einfach mal denen Lorenz‘: „Das ist alles so schön. Ich fühle mich wie in Mittelerde.“ Auch wenn ich zuerst über diesen Ausspruch lachen musste, wurde mir jedoch schnell klar, was er meint. Es war wirklich alles wie in einer anderen Welt. Blumen, die ich noch nie in meinem Leben gesehen hatte, erstrahlen in ihren prächtigsten Farben, ein Tausendfüßler mit dem Durchmesser eines Tampons krabbelte zu meinen Füßen, ehe er blitzschnell im Dickicht verschwand und Wasserfälle rauschten an meinem Kopf vorbei und rissen alle Gedanken und Sorgen mit sich. Auf den Terrassen von Wiñay Wayna plünderten wir dann unsere Lunchbox und genossen die Aussicht. Auf einer Höhe von 3.000 Metern haben die Inkas es vor so vielen Jahren einfach mal geschafft eine riesige Kartoffelplantage anzulegen, mit einer vollkommen auf der Natur basierenden Wasserversorgung und Aquädukten, durch die sogar heute noch Wasser fließt. Nach unserem kleinen Zwischenstopp bei dieser archäologischen Fundstätte ging es dann weiter zum finalen Anstieg. Es war wirklich anstrengend, das Tropenklima machte die Sache auch nicht unbedingt besser und so kam es, dass ich klitschnass war, als ich die Ruinen der Stadt zum ersten Mal in der Abendsonne sah. Einfach unfassbar, wozu Natur und Menschen so in der Lage sind. Da die Anlage an sich eigentlich schon geschlossen war, machten wir uns schnell an den Abstieg nach Aqua Calientes, wo wir die Nacht verbringen sollten. Die Bussen waren aufgrund eines Erdrutsches leider vorübergehend ausgefallen, weswegen uns nur eine Möglichkeit blieb: Laufen. Und das nahmen wir uns mehr als zu Herzen. In 24 Minuten sprinteten wir die steilen und teilweise rutschigen Treppen, vorbei an all den anderen Touristen, die gehend circa 1 ½ gebraucht haben mussten. Auf der Hälfte der Strecke gesellten sich zwei Hunde mit großem Spaß zu uns, was die Koordination auf den regennassen Steinen nicht unbedingt leichter machte. So kam es zu einigen ungewollten Remplern und etwas genervten Touristen, denen ich über die Schulter ein ernstgemeintes „I’m so sorry!“ zuwarf, um meinen Blick sofort darauf wieder auf den Weg zu werfen. Die meisten Menschen fanden unseren kleinen Wettkampf jedoch äußert amüsant, jubelten uns zu und riefen uns Anfeuerungsrufe hinterher. Ich bin selten in meinem Leben mit so glücklichem Herzen eingeschlafen, wie an diesem Abend.
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Und dann war der große Tag endlich gekommen. Um 4:30 Uhr schälten wir uns aus dem Bett, um die Zeit, die wir hatten, voll ausnutzen. Wir unter den ersten Besuchern oben angelangt und unser Reiseführer gab uns eine 2-Stündige Führung, erzählte mit einer solchen Begeisterung von dieser beeindruckenden Kultur, als wäre es seine erste Tour und beantwortete alle Fragen, die sich uns auftaten. Nach unserem Rundgang, hatten Lorenz und ich dannden Rest des Tages Zeit, um die Stadt auf eigene Faust zu erkunden – und trafen prompt auf eine unserer Mitbewohnerin aus Asunción. Die Welt ist echt ein Dorf. So schwer es auch war Abschied von diesem Ort zu nehmen, der mich einfach von der ersten Sekunde an in seinen Bann gezogen hat, desto wichtiger war es für uns. Denn noch in der gleichen Nacht sollte uns ein Bus an den schönen Titicaca-See bringen und auf noch eine Terminalnacht, hatten wir wahrhaftig keine Lust. Durch diverse Bus- und Zugverspätungen, hätten wir dann die Abfahrt um 22.00 Uhr um eine Haaresbreite verpasst und waren mehr als froh, als wir um 21.58 Uhr im Bus saßen und unsere Rucksäcke im Stauraum unter uns lagen.

Um halb fünf kamen wir dann in Puno an. Komplett müde und – mal wieder – ohne Plan, ließen wir uns von einem dubiosen Mann am Terminal ein Doppelbettzimmer aufschwätzen, das wir gleich beziehen konnten. Für zwei Nächte, mitten im Zentrum, mit eigenem Bad, Fernseher, Dusche  und Wi-Fi, bezahlten wir schließlich 10€ pro Person, was mir nach zahlreichen Nächten in 17-Bett-Zimmern, zwischen Getier und Dreck, wie der reinste Luxus vorkam. Wir fielen direkt ins Bett und schliefen erst einmal aus, um uns dann am Nachmittag die Stadt am Rande des Titicaca-Sees anzugucken. Südamerika pur. Nach den Anstrengungen der letzten Tage, war die lebendige Stadt, ohne viele Sehenswürdigkeiten, aber dafür mit dem Bilderbuchsee vor der Tür genau das Richtige. Trotzdem hieß es am Tag darauf mal wieder Abschied nehmen, den Copacabana erwartete uns. Als wir gegen Mittag dort ankamen, suchten wir uns zunächst ein Hostel, kauften unsere Tickets für den nächsten Tag und erklommen dann einen Berg am Rande der Stadt. Oben waren wir mal wieder atemlos und entspannten in der Sonne mit Meeresblick und Gitarrenmusik. Nach ein paar Stunden kehrten wir von der Idylle in den Trubel der Stadt zurück, kauften uns an der Straße etwas, das Curry-Pommes sehr ähnlich war und setzten uns an den Strand, wo wir von einem Blaskonzert des Militärs überrascht wurden. Die Nacht verbrachten wir dann für 2€ in einer Kakerlakenkammer, in der das Urin schon förmlich aus der Matratze spritzte. Umso froher waren wir dann, unsere Reise am nächsten Tag fortzusetzen und den Tag auf den wunderschönen Inseln „Isla de la Luna“ und „Isla del Sol“ zu verbringen. Ich glaube sich noch einmal über die unglaubliche Landschaft und die Coolness von Lamas auszulassen wäre langweilig. Nach dem Tagestrip ging es dann auch schon wieder los in Richtung La Paz. Die Fahrt entlang des Sees konnte selbst die Erlebnisse des Tages noch toppen. Schaute man rechts aus dem Fenster, sah man, wie die untergehende Sonne die hügelige Landschaft in ein wohliges Orange tauchte, während auf der anderen Seite der Vollmond langsam aber sicher aus seinem Wolkenbett stieg und den See mit seinem silbrigen Licht so hell erleuchtete, dass man das Wasser sogar vom Bus aus tanzen sehen konnte. Zurück in La Paz blieb uns ein Tag shoppen, Kino, Vergnügen und Essen, ehe wir uns am 18.01. von Bolivien verabschieden mussten und in das Flugzeug stiegen, was uns nach Buenos Aires zum Zwischenseminar bringen sollte.

Nach fünf sehr schönen Seminar-Tagen, verbrachten wir noch einige Zeit bei anderen Freiwilligen in der Hauptstadt Argentiniens, bis wir uns schließlich zurück in unsere neue Heimat Asunción machten. Bepackt mit einem Rucksack voller Eindrücken, Gefühlen und Erinnerungen, die zumindest mich noch lange begleiten werden, auch wenn mein eigentlicher Reise-Rucksack schon lange wieder auf meinem Schrank in meinem Zimmer liegt und anstatt Glücksmomente lediglich Staub ansammelt.

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#10 Ich bin dann mal weg – Teil 2: Bolivien, Peru und Argentinien

#9 Winter is coming

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Man mag es kaum glauben, doch langsam aber sicher verschiedet sich auch hier in Paraguay einmal der ewige Sommer und die Temperaturen sinken immer weiter ab. Heute haben wir bereits herbstliche 23°C und ich kann sagen, dass es sich noch nie so schön angefühlt hat die Wintersachen herauszukramen und im Pulli die Straßen herunterzuschlendern. Man kann sich bewegen, ohne dass man gleich komplett nass ist und abends ohne Weiteres ein Wettrennen zum Limonenbaum machen, hinaufklettern – oder wahlweise auch hüpfend gegen Äste schlagen – um sich die besten Exemplare zu sicher und dann den Abend mit einer heißen Zitrone ausklingen zu lassen. Der Wind der einem über das Gesicht streichelt und die Haare zerzaust, fühlt sich nicht mehr so an, als wäre er gerade dem Ofen entwichen und man kann endlich in der Sonne stehen, ohne Angst vor einer Verbrennung 3. Grades zu haben.DSC00665

Doch das Wetter ist nicht die einzige Veränderung, über die es sich zu berichten lohnt; auch bei der Arbeit gibt es Neues. Seit nunmehr zwei Wochen läuft in Villa Elisa das „Centro de Primera Infancia“, was ungefähr mit dem deutschen Kindergarten zu vergleichen ist. Kinder im Alter von 1-4 Jahren kommen in unser kleines Lokal, um zu spielen, zu singen, zu lernen und um prinzipiell bespaßt zu werden. Bei vielen Kindern merkt man, dass ihnen nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt wird, die sie für ihre persönliche Entwicklung brauchen. Es wird viel geschlagen und sehr viele Kinder hängen was Motorik und Logik angeht ihrem Alter hinterher. Deswegen bemühen wir uns genau diese Bereiche stärker zu fördern, was beispielsweise beim Spielen mit Bauklötzen anfängt und beim simplen Ausmalen eines Kreises aufhört. Außerdem bekommen die Kinder eine Mahlzeit, die ich anfangs immer für viel zu zuckerlastig hielt, bis mir von meinen Mitarbeiten erklärt wurde, dass viele der Kinder unter- beziehungsweise mangelernährt sind und sie deshalb durch die media mañana möglichst viel Energie aufnehmen sollen. Da kommen leicht verdauliche Kohlenhydrate also gerade recht.

Langsam aber sicher bauen die Kinder Vertrauen zu mir auf, kommen von alleine auf mich zu, umarmen mich oder werfen mir keck ein Küsschen über den Raum hinweg zu. Auch ich kenne langsam die Namen meiner Pappenheimer und komme teilweise sogar schon über Gesprächsthemen wie „Was macht die Kuh? – Muuuuh!“ hinaus. Die nächste Woche ist semana santa, auch bekannt als Ostern, was uns Freiwilligen gerade recht kommt, da wir aus Visa-Gründen das Land verlassen müssen. Also wurde gestern Abend spontan entschieden, dass wir am Mittwoch unsere 7 Sachen packen und über Ostern an die Atlantikküste Brasiliens fahren. Ich freue mich auf jeden Fall jetzt schon riesig und werde definitiv danach wieder von mir hören lassen.

#8 Ich bin dann mal weg – Teil 1: Chile

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Sechs  Wochen. Vier Länder. Ein Kontinent. Und zahlreiche einzigartige Erinnerungen.

Mit einem lauten Aufgrollen des Motors setzt sich der große Reisebus langsam aber sicher in Bewegung. Durch das riesige Panoramafenster, welches mir später noch einen unglaublich beeindruckenden Ausblick auf die Andenlandschaft Chiles ermöglichen sollte, sehe ich wie mein winkender Mitfreiwilliger immer kleiner wird, bis der Bus schließlich eine Kurve macht und mir die weitere Sicht auf ihn verwehrt. Ich stelle meinen Sitz zurück und mache es mir mit Musik in den Ohren so bequem wie möglich – schließlich habe ich bis wir in Santiago de Chile ankommen werden, noch knapp 30 Stunden Fahrt vor mir. Unauffällig mustere ich Lorenz  von der Seite. Er scheint nicht so aufgeregt zu sein wie ich und wenn doch, dann lässt er es sich nicht anmerken. Unsere Südamerikareise liegt vor uns: Ein Kontinent und ein Abenteuer, das nur darauf wartet erlebt zu werden. Die Häuser Asuncións ziehen an mir vorbei und trotz der Tatsache, dass es vorerst das letzte sein wird was ich von meinem neuen Zuhause für die nächsten Wochen sehen werde, überwiegt die Vorfreude auf das Unerwartete, auch wenn mein Kopf es noch nicht so ganz begreifen kann, dass es jetzt wirklich los geht. OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Schon die Fahrt über Argentinien nach Chile war mehr als beeindruckend. Die Berglandschaften, die ich im flachen Paraguay zu vermissen gelernt hatte, erstreckten sich groß und majestätisch am Straßenrand, reißende Flüsse bahnten sich ihren Weg durch gerölliges Gestein und Seen lagen ruhig und leise da, als würden sie von all dem gar nichts mitbekommen. Kurz nach der Grenze zwischen Argentinien und Chile bin ich eingeschlafen, erschöpft von den schlechten amerikanischen Aktionfilmen, die meinen Schlaf immer wieder unterbrochen hatten und der anstrengenden 80er-Jahre Popmusik, die sogar das Wachsein in einen Alptraum verwandelte. OLYMPUS DIGITAL CAMERAAls ich dann aufwachte dachte ich im ersten Moment ich wäre in Hannover, zu sehr glich das Stadtbild einer europäischen oder sogar deutschen Großstadt. Fußgängerampeln, saubere Straßen, neue Autos, beeindruckende Hochhäuser und Menschen, die mit ihrem Erscheinungsbild wunderbar in jeden H&M-Katalog gepasst hätten. Natürlich war mir auch vorher schon klar, dass Chile im Vergleich zu Paraguay ein eher reiches und westlich geprägtes Land ist, aber dass der Unterschied so krass ausfallen würde, war mir nicht bewusst. Einige Tage später, als wir in Concepción durch einen Supermarkt gingen, habe ich mich gar nicht mehr eingekriegt. Es gab „schönes“ (sehr wahrscheinlich genmanipuliertes) Obst, sauber gestapelt und angerichtet, geradezu danach verlangend direkt eingepackt und verzehrt zu werden. Kein Vergleich zu den matschigen Tomaten und braunen Äpfeln, die sich gerne in paraguayischen Supermärkten anfinden lassen. Auch das Kühlregal stand einem deutschen in Nichts nach und eröffnete eine unglaubliche Auswahl an abgepackter Salami und Käse – ja, es gab richtigen Käse! Selbst Markenprodukte konnte man – wenn auch zu erhöhten Preisen – in den Regalen stehend vorfinden: Es gab Nutella, Ferrero, Skittles; alles was das Herz begehrt und als meine sowieso schon beeindruckten Augen dann auch noch deutsches Pumpernickel entdeckten, war es komplett um mich geschehen. blogcollage Natürlich muss man dazu sagen, dass es auch in Chiles Großstädten Ecken gab, die einen daran erinnerten, dass es eben nicht Europa ist, durch dessen Straßen man da gerade spaziert, aber alles in allem, war es wirklich anders als das Südamerika, an das ich mich die letzten vier Monate gewöhnt hatte und das meiner Meinung mach viel mehr Authentizität ausstrahlt. Und dann war auch schon Weihnachten. Am 24. wurde am Strand gegrillt, im Pazifik gebadet und sich der ganze Körper, dank Ozonloch, komplett verbrannt – was mir ein paar Stunden später in der Kirche sehr zum Verhängnis werden würde. Ich hätte nicht gedacht, dass eine Stunde Gottesdienst mit feuerroten Oberschenkeln und Schmerzen im ganzen Körper so langsam vorbei gehen könnte. Heiligabend ohne Geschenke, mit Gedichten und Schokofondue war dann der krönende Abschluss eines wahrhaftig außergewöhnlichen Tages, der sich zwar nicht wirklich weihnachtlich anfühlte, aber trotzdem mit eines der schönsten Weihnachten war, das ich je verbracht habe.

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Am Nachmittag des ersten Weihnachtsfeiertages haben wir uns dann – nach kollektivem Eincremen mit After Sun –  Richtung Meer aufgemacht, bewaffnet mit Schlafsäcken und langen Sachen (auch wenn die Sonne meine Haut selbst durch den Stoff zum Brennen brachte). Wir gingen entlang einer alten Bahnlinie, rechts ein Steinabhang, links der Pazifik, über uns die brennende Sonne, auf der Schulter die Gitarre. Die mit Moos und Unkraut bewucherten Bahnschienen ließen teilweise nicht einmal mehr vermuten, dass sich hier wirklich mal ein Zug seinen Weg entlang des Meeres gebahnt hatte und je länger wir dem Weg folgten, desto tiefer gerieten wir ins Dickicht. Wir überquerten alte Zugbrücken, kämpften uns durch Dornenbüsche und Matschböden und durchquerten einen komplett düsteren Eisenbahntunnel. Es ist unglaublich wie erdrückend vollkommene Dunkelheit sein kann. Und noch unglaublicher ist es, wie sehr man danach das Tageslicht zu schätzen weiß.

bloggggNach dem Tunnel gelangten wir an einen verlassenen Sandstrand, die Wellen trieben ruhig und gemächlich hin und her und wir dachten wir hätten unseren Schlafplatz endlich gefunden, als unser chilenischer Freund meinte, um an unser Ziel zu kommen,  müssten wir nur noch den Berg, durch den uns der Tunnel geführt hatte, besteigen und ungefähr die Hälfte des Weges, den wir gerade im Dunkel gegangen sein, zurückgehen. Irgendwann würden wir dann auf der rechten Seite eine kleine Bucht entdecken, die man sonst eigentlich nur schwimmen erreichen kann. Gesagt, getan. Begleitet durch die langsam untergehende Sonne kletterten wir den ziemlich steilen Abhang hinauf, um ihn dann kurze Zeit später auf der anderen Seite wieder herunterzurutschen. Und was soll ich sagen? Die Mühe hatte sich definitiv gelohnt. Vor uns lag eine kleine Bucht, wie aus einem TUI-Katalog, mit Sandstrand, Steinklippen und Meeresrauschen. Während sich die Jungs daran machten die Gegend zu erkunden, auf Steine zu klettern und Feuerholz zu sammeln, befreiten wir Mädchen uns von unseren viel zu warmen langen Sachen und kühlten unseren Sonnenbrand im eiskalten Pazifik, als gerade die Sonne im Meer versank und alles in ein wohliges Rot tauchte.  bloggDen Abend verbrachten wir mit Chips und Gitarre am Lagerfeuer und legten uns schließlich unter den offenen Sternenhimmel schlafen. In der Ferne sah man etwas unscharf die Lichter der nächstgelegenen Stadt funkeln, aber gegen die tausenden und abertausenden Sterne konnten sie definitiv nicht anstinken. Ich weiß nicht wie lange ich da so im Sand neben dem Feuer lag und in den Himmel geguckt habe, aber irgendwann muss ich wohl eingeschlafen sein. Am nächsten Morgen wurde ich vom Meeresrauschen geweckt. Wir frühstückten kurz, gingen schwimmen und genossen die schöne Kulisse, bis wir dann gegen Mittag  wieder aufbrachen. Da niemand so richtig Lust hatte, den steilen Abhang wieder hinaufzuklettern, beschlossen wir kurzerhand die Bucht schwimmend zu verlassen. So verstauten wir die Sachen, die wir dabei hatten alle im Schlauboot, was Camilo glücklicherweise dabei hatte und schwammen zu eben dem verlassen Strand, den wir den Tag vorher durch den Tunnel erreicht hatten. Von dort aus trampen wir auf einem Pick-Up zurück in die Zivilisation. bloggg
blogggggggggBis zum 28.12. sind Lorenz und ich dann noch in Concepción geblieben, waren im Kino, auf Geburtstagen und haben den Luxus einer eigenen Küche genossen. Am Abend des 28. haben wir uns dann in Richtung Valparaíso aufgebracht, wo wir Silvester in der bunten Hafenstadt mit einer Menge anderer deutschen Freiwilligen und dem größten Feuerwerk Chiles verbrachten. Die zwei Tage  dort waren echt schön und Valparaíso ist definitiv eine beeindruckende Stadt – auch wenn angemalte Armut immer noch Armut ist.
Am 1.1. sattelten wir dann gegen Mittag die Hühner, verabschiedeten uns von allen andern und fuhren zurück in das circa eine Stunde entfernte Santiago de Chile. Als wir ankamen stiegen wir aus dem Bus und uns wurde klar, dass wir ab jetzt keinen Plan mehr hatten, keine Reiseroute, keine Tickets, nichts. Das einzige, was wir wussten, war dass wir es unbedingt auf den Machu Picchu schaffen wollten und dass am 18.1. unser Rückflug von La Paz nach Buenos Aires zum Zwischenseminar ging. Wir liefen also etwas verplant durch das Terminal und fragten an jedem Stand nach einem Bus nach Cuszo, bis wir irgendwann feststellen mussten, dass es von Santiago aus keine Reisebusse nach Cuzco gibt. Nachdem wir unsere zwei Möglichkeiten abgewogen hatten – ein Hostel hier in Santiago suchen, bevor es dunkel wird, oder einfach irgendwo anders hin fahren – entschieden wir uns schließlich für letzteres, gingen an einen x-beliebigen Ticketstand, fragten, welche nördlich gelegenen Städte uns der nette Herr verkaufen könnte und entschieden uns spontan für San Pedro der Atacama. Irgendwie fanden wir den Namen schön und der Bus würde in 20 Minuten abfahren, also nichts wie hin da. Wir verstauten unsere Reiserucksäcke im Kofferraum und machten es uns im Bus bequem. Schon die Fahrt bis zum nächsten Zwischenstop in Copiapó war einfach unglaublich beeindruckend. Wir fuhren entlang der Pazifikküste, was bedeutete, dass sich auf der einen Seite das endlose Meer ausbreitete, während man auf der anderen Seite kakteenbedeckte Berge und naturbelassene Gestrüpplandschaften zu Gesicht bekam. Endlos weite Sandstrände ohne eine einzige Menschenseele, Felsenklippen, an denen riesige Pazifikwellen brechen und die Vögel nassspritzen, die nach Fischen im Meer tauchen. Ich war kurz davor dem Busfahrer zu bitten kurz anzuhalten und mich rauszulassen, damit ich mich in eine Holzhütte am Strand einquartieren konnte, um dort den Rest meines Lebens  zu verbringen. Aber als ich dann an unsere Reisepläne dachte und die ganzen Dinge, die ich noch sehen und erleben sollte, kuschelte ich mich doch lieber in meinen Sitz und erfreute mich lediglich an der traumhaften Aussicht. Und erst als die Sonne nach einem einzigartigen Sonnenuntergang vollkommen im Meer versunken war und die Fensterscheibe des Buses, bis auf das tiefe Schwarz, was draußen herrschte, nur noch mein eigenes Spiegelbild zeigte, fielen meine Augen zu und ich schlief glücklich ein.

Um vier Uhr morgens weckte mich Lorenz mit einem liebevollen Ellenbogenstupser. Wir waren in Copiapó angekommen, einer kleinen Stadt irgendwo in Chile, wo wir circa 3 Stunden Aufenthalt hatten, um dann so gegen halb sieben unsere Weiterfahrt nach San Pedro de Atacama anzutreten. Sobald sich der Bus wieder in Bewegung gesetzt hatte, schlief ich erneut ein, zu sehr hing mir die vorangegangene Silvesternacht noch in den  Knochen. Als ich aufwachte sah ich Sand. Und egal wie ich meinen Kopf drehte und wohin ich guckte, änderte das nichts an der Tatsache. Ich war in der Wüste. In einer richtigen, waschechten Wüste! Für viele, die sich etwas mit Geographie auskennen, wird das jetzt wohl keine große Überraschung sein, aber ich für meinen Teil, war komplett perplex. Klar, die Atacamawüste liegt im Norden Chiles und „San Pedro de Atacama“ könnte eventuell irgendetwas damit zu tun haben, aber trotzdem hatte ich eher eine brache Gestrüpplandschaft erwartet und keine Sandwüste. Außerdem war der Kontrast zur lärmenden, dreckigen Stadt, in der ich eingeschlafen war einfach so groß, dass ich mich an dem Bild, was sich vor mir auftat, gar nicht sattsehen konnte. Ich hätte nie gedacht, dass Sand, Steine, Geröll, Krater und ausgetrocknete Flüsse so spannend sein könnten. Unser Bus ist über Antofagasta gefahren, wo wir kurz angehalten haben. Obwohl die Stadt an sich relativ belebt war, hätte sie meiner Meinung nach dennoch sehr gut als Geisterstadt aus einem schlechten Horrorfilm durchgehen können. Ich weiß nicht warum, aber die Vorstellung mitten in der Wüste zu leben, die nächste größere Stadt meilenweit entfernt, hat in mir irgendwie ein beklemmendes Gefühl hinterlassen. Und vor allem auch Angst vor dem, was Lorenz und ich gleich vorfinden würden. OLYMPUS DIGITAL CAMERA
Als wir dann etwa fünf Stunden später in San Pedro de Atacama ankamen, hatte sich an meinem Gefühl leider nicht viel geändert. Es handelte sich um ein kleines Dorf in der Mitte eines riesigen Tals, umgeben von nichts, außer Sand und Stein. Die Straßen, die wir mit dem Bus durchfuhren, wirkten irgendwie leer und verlassen, es waren viele leerstehende Häuser zu sehen und als wir am Busterminal parken und ausstiegen, klammerten wir uns sofort an die Franzosen, die neben uns im Bus saßen, um nicht komplett alleine dazustehen. Wir gingen also zu viert Richtung Zentrum und nach und nach begegneten wir immer mehr Backpackern und Menschen, die eindeutig nicht einheimisch aussahen. Als wir dann im Zentrum der Stadt angekommen sind, traute ich meinen Augen nicht. Es stellte sich heraus, dass San Pedro de Atacama so etwas wie ein Auffanglager, beziehungsweise Durchreiseort für Backpacker ist. OLYMPUS DIGITAL CAMERA An jeder kleinen Ecke sah man einen Souvenirladen,  eine Bar oder ein Hostel. Alles in einem Stil erbaut, der leicht an das Stadtbild aus einem alten Westernfilm erinnern könnte. Wir fanden schnell ein Acht-Bett-Zimmer für 10€ die Nacht, mit Hängematte im Innenhof unter dem offenen Sternenhimmel. Nachdem wir zu Abend gekocht und etwas Obst für den nächsten Tag eingekauft hatten, machte ich es mir in einer der Hängematten gemütlich und lauschte wie „Girl from Ipanema“ leise aus den Lautsprechern eines argentinischen Backpackers vor sich hinplätscherte.

Am nächsten Morgen schnappen sich Lorenz und ich unsere geliehenen Fahrräder und machten uns auf in Richtung „Valle de la Luna“ (also „Mondtal“). Auf dem ganzen Weg (und das waren immerhin knapp 40 km, die wir da in der prallen Sonne zurückgelegt haben) sind wir fast keiner anderen Menschenseele begegnet und manchmal fühlen wir uns wirklich so, als wären wir auf einem anderen Planeten (jaja, ich weiß, der Mond ist kein Planet, aber hey, der Vergleich passte gerade so schön). Und was soll ich sagen? Das Tal machte seinem Namen alle Ehre. Fast die ganze Umgebung bestand ausschließlich aus Salz, soweit das Auge reichte ließ die Sonne kleine Lichter über den Boden tanzen und es wirkte fast so, als läge um uns herum Schnee. Wir durchquerten (mit Kopflampen bewaffnet) stockdüstere Höhlen, die aus Wind und Wasser geformt wurden, krackzelten auf Salzberge und genossen den Ausblick auf meterhohe Sanddünen. Und als ich am Abend vollkommen erschöpft im Bett lag und mich wie wild auf die Weiterreise nach Bolivien freute, die wir am nächsten Morgen antreten sollten, blickte ich auf einen wahrlich zauberhaften Tag zurück, den mir sogar mein wunder Arsch und meine schmerzenden Oberschenkel nicht mehr verderben konnten. 

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#7 Meine Villa Kunterbunt

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Jaja, die verflixte sieben. Ich weiß, dass mein letzter Eintrag ein wenig zurückliegt, aber es kam leider immer irgendetwas dazwischen, deswegen folgt jetzt hier frei nach dem Motto „Besser spät als nie“ eine mehr oder weniger ausführliche Projektbeschreibung für alle, die sich für meine Arbeit hier interessieren.

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Wie ich bereits erwähnte hat mein Projekt, in dem ich hier Freiwillige bin, mehrere Einsatzorte. Meine Projektstelle liegt am Rande Asuncións, im Stadtteil San Antonio und trägt den Namen „Villa Elisa“. Die Menschen dort leben in sehr einfachen Verhältnissen und manchmal reicht es nicht einmal für ein dichtes Dach, dennoch sind die Menschen unglaublich hilfsbereit und nett – zumindest zu dem blonden Mädchen aus Deutschland mit den unglaublich blauen Augen. Das Lokal der Callescuela liegt relativ zentral und in der Nähe des Centro Communitario und ist quasi eine Anlaufstelle für die Kinder, in der sie Hausaufgabenhilfe bekommen, sich mit ihren Freunden treffen und zusammen organisieren oder sich auch einfach mal nur vergnügen können.

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Damit ihr euch das alles ein bisschen besser vorstellen könnt, folgt nun ein kleiner Wochenplan, der natürlich auch nicht immer gültig ist. Denn wenn ich etwas in meiner Zeit hier bereits gelernt habe, ist es, dass spontan meist besser klappt als geplant. Und wenn nicht, dann hat man sich wenigstens den Stress des Organisierens gespart. Also, meine Woche hier sieht ungefähr wie folgt aus:

Montag

Jeden Montag gibt es eine Plenaria im Haupthaus der Callescuela. Im Endeffekt handelt es sich dabei um eine Versammlung aller Angestellten, in der das Wichtigste und alles, was sonst so anliegt, bequatscht, organisiert und geplant wird.

Dienstag 

Dienstags gebe ich Gitarrenunterricht, während die Profesora nebenbei den Nachhilfeunterricht leitet. Das ist dann meist etwas chaotisch, aber mittlerweile haben wir uns ganz gut eingespielt und mit den Kindern klappt es auch immer besser – vor allem mit denen die wirklich regelmäßig kommen.

Mittwoch

Mittwoch gibt’s „einfach nur“ Nachhilfeunterricht und von Zeit zu Zeit auch andere Aktivitäten. Besonders gerne welche, die mit „F“ anfangen und „ußball“ aufhören.
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Donnerstag

Oder auch „Tag der Kunst“ genannt. Hier machen wir immer andere Workshops mit den Kindern, singen, zeichnen, malen das Lokal mitsamt Möbeln an oder spielen einfach nur, je nachdem wozu wir und die Kinder gerade lustig sind.

Freitag 

Am Freitag bin ich immer in zwei anderen Communidades unterwegs, in denen ich dann ebenfalls – einmal am Vormittag und einmal am Nachmittag – Gitarrenunterricht gebe. Die Fortschritte hier sind aber natürlich etwas kleiner, als in Villa Elisa, weil die Teilnehmer auch stärker variieren und ich das ganze noch nicht so lange und regelmäßige mache. Deswegen singen wir oft auch einfach nur zusammen, aber das finde ich dann auch meistens ganz schön, und die Kinder ihrer Reaktion zufolge auch. Bald wollen wir selber Gitarren „basteln“, aus Holz und Nylon, damit zumindest jeder ein Griffbrett hat, mit dem er, wenn auch ohne Ton, mitüben kann, weil die momentane Situation sieht leider etwas stressiger aus. 5-10 Schüler und eine Gitarre. Da werden spätestens wenn ich durch’s Tor komme die ersten Köpfe eingeschlagen, wer denn nun als erster „spielen“ darf.

Samstag

Samstag ist immer Reunión, also Gruppentreffen. Zuerst die Grupo Oragnizado de Niñas (Mädchen, so zwischen 9 und 11) und danach die Grupo Organizado de Adolecentes Trabajadores – kurz GOAT’s. Dabei handelt es sich um arbeitende Jugendliche im Alter zwischen 14 und 17. Es gibt noch eine Grupo de Niños (sozusagen das Pendant zu der GONI) sowie eine Grupo de Abejas, also „Bienengruppe“ – die ganz Kleinen, aber deren Reuniónes finden meist unter der Woche und sporadischer statt. Momentan gibt es gerade nur ein einziges Thema in allen vier Gruppen: Das anstehende Zeltlager! Nachdem bekannt geworden ist, dass das Geld nicht ausreicht, um mit allen Gruppen wegzufahren, haben sich die Kinder und Jugendlichen in ihren jeweiligen Gruppen organisiert und fleißig Pläne geschmiedet, wie man am besten Geld verdienen könnte, um das Ganze doch noch möglich zu machen. Durch Eisherstellung, Losverkauf und Kino im Lokal wurde so einiges zusammengesammelt und auch wenn es eher einen symbolischen Wert hat, blicken die Kinder stolz auf ihren Verdienst zurück. Die Grupo de Niños, beispielsweise, hat den ganzen Gefrierschrank mit Eis bestückt und anschließend den ganzen Nachmittag lang verkauft und kamen stolz wie Bolle mit 15.000 Guaranís zurück – was nicht einmal 3 Euro entspricht.

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Generell muss ich sagen, dass ich mit meinem Projekt hier rundum zufrieden bin. Leider kommt bei 40 Grad nicht wirklich Weihnachtsstimmung auf und – aller Mühe in Ehren – Lichterketten an den Palmen kann ich nicht wirklich ernst nehmen. Das Weihnachtsfest unserer Organisation, mit „deutschen“ Keksen  und Glühwein, war zwar sehr schön, aber trotz Last Christmas und Stille Nacht nicht wirklich weihnachtlich. Aber auch wenn ich die ganze winterliche Stimmung etwas vermisse, muss ich sagen, dass ich mich unter meinem Sonnenschirm am Strand des Río Paraguay – welcher circa eine Viertelstunde entfernt liegt – auch ganz wohl fühle und sehr gut auf die Kälte in Deutschland verzichten kann. Mir graut es ja ehrlich gesagt schon etwas vor dem nächsten Winter, wenn mir hier bei 25 Grad schon kalt ist. Am Freitag beginnt übrigens meine Südamerikareise. Der Plan ist Chile – Peru – Bolivien – Argentinien und vielleicht noch Uruguay. Bis jetzt haben wir nur das Busticket nach Chile und den Flug von Bolivien nach Argentinien, es wird also durchaus abenteuerlich und ich freue mich wirklich darauf frei herum reisen zu können. Danach werde ich natürlich berichten und hoffentlich auch öfters etwas hier rein schreiben.

#6 Zeltlager

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ImageCampamento de Formación de Jóvenes Trabajadores „Susan Ramírez“ – Unter diesem Titel haben wir uns am Wochenende mit etwas mehr als 100 Jugendlichen und eine Hand voll Betreuern auf den Weg nach Piribebuy gemacht, um dort in einem Zeltlager mit den Kindern über ihre Rechte, Ziele und Hoffnungen zu reden und konkret an Plänen zu arbeiten, die es ihnen ermöglichen sollen, sich zu organisieren und für das einzustehen, was ihnen wichtig ist. Ganz am Anfang wurde der Name des Camps aufgegriffen und von Norma, unserer „Chefin“ erklärt. Susan Ramírez war ein ehemaliges Mitglied der CONNATs – also der Kinderarbeiterorganisation – und ein junges Mädchen, welches auf der Straße neben dem Markt Früchte verkaufte, um Geld für ihre Familie zu verdienen. Eines Tages wurde sie während ihrer Arbeit von einem Auto erfasst und ist an den Folgen des Unfalls gestorben. Viele der anwesenden Jugendlichen kannten Susan und als plötzlich alle gemeinsam anfingen „Susan Ramírez – La lucha sigue“ (Der Kampf geht weiter) zu rufen, hat mich das schon sehr berührt.

IMG_1072Generell muss ich sagen, dass ich tief beeindruckt bin, nicht nur von der Arbeit des Organisations-Teams, welches über ihre eigentliche Arbeit hinaus große Teile seiner Freizeit für das Projekt opfert, sondern auch von den Kindern und Jugendlichen. Bei der Art und Weise, wie sie über ihre Situation und die Verhältnisse in ihrem Land reden, vergisst man schnell, dass man gerade mit einem 13-Jährigen Kind und nicht mit einem Erwachsenen redet.  Während des dreitägigen Seminares, haben wir viel gearbeitet, aber auch genauso viel gelacht – zum Beispiel als Lorenz und Leander die im Lagerradio eingegangenen Liebeserklärungen vor versammelter Mannschaft vorgetragen wurden oder bei der Witzerunde am Lagerfeuer (falls es vorkam, dass wir die Pointe dann doch einmal verstanden hatten). In den Mittagspausen wurde Fußball oder Volleyball gespielt, getanzt, gesungen oder im Bach gebadet.Einige widmeten sich auch einer ausgiebigen Siesta, aber der Großteil war auf den Beinen, um irgendetwas zu unternehmen.

IMG_0984Am Samstagabend gab es dann wie oben bereits erwähnt ein gemeinsames Lagerfeuer, bei dem jeweils ein Repräsentant der Gruppen, in denen wir die zwei Tage lang gearbeitet (Klo geputzt, Tische geräumt, Geschirr gespült) haben, eine Fackel zum Entzünden des „Feuers der Hoffnung“ bekam. Danach haben wir gemeinsam das Licht und die Wärme genossen und zu Sergios Gitarrenspiel gesungen. Nach eins, zwei Liedern forderte uns die Runde dann plötzlich auf ein deutsches Lied zum Besten zu geben und nachdem wir zunächst keins gefunden hatten, was wir alle vier kannten und dessen Akkorde ich auswendig wusste, einigten wir uns schließlich auf „An Tagen wie diesen“ von Fettes Brot. Die Tatsache, dass keiner von uns den Rap-Part vernünftig auf die Reihe bekommen hat, führte eher zur Belustigung des Publikums, als dass es negativ auffiel und spätestens nach „Ein Kompliment“ lagen uns die paraguayischen Herzen zu Füßen. So schön die Nacht auch war, ging es am nächsten Morgen dank Zeitverschiebung um halb sechs raus und der Tag wurde noch einmal effizient genutzt.

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IMG_1107Gegen fünf traten wir dann mit Keksen und Kakao als Proviant den Heimweg an, der mit lauten Gesängen im Bus und einer erneuten Witzerunde zelebriert wurde. Am Abend kamen wir dann geschafft aber glücklich hier im Internat an und freuten uns wahnsinnig auf unsere Betten, die uns wenigstens eins, zwei Stunden Schlaf nachholen ließen, die uns im Camp von Gekicher und lauten Schnarchen verwehrt wurden.

#5 Home sweet Home

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Am Sonntag bin ich bereits ganze sechs Wochen von Zuhause fern und so langsam kehrt hier etwas Ruhe und Alltag in mein Leben ein. Für die ersten vier Wochen bin ich in einer der Communidades, mit dem wunderschönen Namen „Villa Elisa“ beschäftigt und meine Hauptaufgaben bestehen eigentlich darin, beim Nachhilfeunterricht zu helfen, den Kindern Gitarre spielen beizubringen und natürlich, nachdem alle Matheaufgaben gelöst sind, Fußball zu spielen. Da kann es auch einmal vorkommen, dass eine Kuh neben dem Tor liegt, ein Pferd über’s Spielfeld trottet oder ein Schwein an der Seitenlinie sein Unwesen treibt. Einfach nicht beirren lassen und drumherum spielen lautet die Devise. Da ich jedoch noch nicht einmal zwei Wochen wirklich regelmäßig arbeite und mir so einfach noch die Routine fehlt, um ausführlich darüber zu berichten, folgen nähere Informationen zu meinem Projekt dann an anderer Stelle. ImageHeute soll es viel mehr um mein neues Zuhause gehen, das „Orfa“. Die Studenten hier finden, dass „Internat“ zu streng klingt, also haben sie das Wohnheim kurzerhand in „Waisenhaus“ umbenannt, was sich natürlich gleich viel einladender anhört! Wir wohnen hier mit knapp dreißig anderen jungen Leuten zusammen, die Jungs in Bungalows, die Mädchen im Haupthaus und auf unserem Gelände befindet sich zudem noch eine kleine Gemeinde und das Haus des Pfarrers, indem er mit seiner Familie und zwei ziemlich aufdringlichen Hunden wohnt. Mein Zimmer Wie ihr auf dem Bild hoffentlich erkennen könnt, gibt es außerdem einen Fußball-, Basket- und Volleyballplatz, sowie zahlreiche Sitzmöglichkeiten. Ich habe ein Einzelzimmer, was ziemlicher Luxus ist, wie ich finde, zumal ich direkt neben dem Balkon wohne, den ihr oben rechts auf der Collage sehen könnt und teile mir mein Badezimmer mit einem anderen Mädchen – das mich bis jetzt noch erfolgreich ignoriert. Solange immer genügend Klopapier da ist, soll’s mir recht sein. Außerdem gibt es eine – mehr oder weniger saubere – Gemeinschaftsküche, aus der jedoch ständig auf mysteriöse Art und Weise Töpfe, Pfannen und Spülmittel verschwinden. Auch der Kühlschrank des Mädchentraktes ist beliebtes Diebstahlziel, ganz zum Unmut der restlichen Mitbewohnerinnen, was dazu führt, dass man fast wöchentlich neue Zettel am oder im Kühlschrank findet, die an die Räuberin und ihre guten Manieren appellieren. Bis jetzt leider erfolglos, denn erst vor ein paar Tagen sind uns wieder Sachen geklaut wurden. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Ich werde demnächst versuchen ein paar Bilder von der Stadt und meinem Projekt zu machen, um euch einen genaueren Einblick in mein Leben hier zu ermöglichen. Wann genau das sein wird, kann ich jedoch noch nicht sagen, da das nächste Wochenende ein Campingausflug geplant ist, mit allen Kindern und jugendlichen Arbeitern, das heißt die Woche gibt es viel zu planen und vorzubereiten.
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#4 Die erste Woche

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Meine erste Woche in Asunción liegt hinter mir und in den letzten Tagen ist echt enorm viel passiert, deswegen fangen wir besser ganz am Anfang an.

Am Montag gab es zunächst eine riesige Vorstellungsrunde und wir Freiwillige wurden von den Mitarbeitern total herzlich mit offenen Armen und vollen Tereré-Bechern empfangen. Bei meiner Organisation handelt es sich um eine NGO mit dem Namen „Callescuela“, die es sich vor allem zum Ziel gesetzt hat, sich für die Rechte der Kinder und Straßenkinder Paraguays einzusetzen. Unter diesem Vorhaben wurden zahlreiche Projekte in Asunción, aber auch in anderen Städten Paraguays ins Leben gerufen und in einem eben dieser Projekte werde ich das kommende Jahr lang tätig sein. Damit wir uns aber überhaupt erst einmal ein Bild von der ganzen Materie machen können, bestehen unsere ersten zwei Wochen primär aus Projektbesuchen und Gesprächen mit Angestellten. Image Deswegen ging es dann am Dienstag auch gleich mit dem ersten Besuch los. Ort: Das Busterminal hier im Zentrum der Stadt. Tagesrückblick: Barfuß Fußballspielen in der prallen Sonne, bis die Füße rot, dreckig und kaputt sind, mit den Jugendlichen lauthals John Lennon singen und sich vorstellen wie es wäre, wenn alle Menschen in Frieden miteinander leben würden und über den momentanen politisch, sozialen und ökonomischenn Zustand des Landes diskutieren. Aufbauend darauf gab es dann am nächsten Tag eine Demonstration vor dem Kongress, bei dem es um die Forderung einer Agrarreform und die Rechte der Arbeiter – auch der Kinder – ging, weswegen sich die Jungs und Mädels mit Trommeln ausgestattet ihren Weg durch die Straßen der Stadt zum Platz vor dem Kongressgebäude bahnten. Mehrere Busfahrer hatten sich als Protest gegen ihre Entlassung und um auf ihre schlechten Arbeitsbedingungen aufmerksam zu machen, an ein Kreuz nageln lassen und wurden unter Applaus durch die Menge getragen. Generell ist es den Jugendlichen sehr wichtig auf sich und ihre Forderungen aufmerksam zu machen, deswegen gehen sie öfters durch die Straßen, mit selbsgebastelten Schildern und originellen Gesängen, um für das kämpfen, was ihnen zusteht. Außerdem gibt es richtige Abgeordnete, die von den Kindern quasi gewählt werden, wer mehr dazu wissen möchte, kann sich hier informieren: http://www.pronats.de

Gestern waren wir dann, um ein weiteres Projekt zu besuchen, in Ciudad del Este, am anderen Ende des Landes, haben auf dem Weg dorthin die angeblich besten Chipas ganz Paraguays gegessen und mit den Menschen, die dort vor Ort in den sogenannten „Asentamientos“ leben, über ihre momentane Situation gesprochen. Das Problem ist, dass es hier zurzeit einen starken Privatisierungstrend gibt, was dazu führt, dass die Preise für essenzielle Dinge, wie Strom und Wasser so stark ansteigt, dass die Menschen es nicht mehr bezahlen können. Nachdem wir mit den Kindern und einigen Angestellten das typisch paraguayische vorí vorí gegessen haben, durften wir einem Treffen von Müttern bewohnen, die sich für die Rechte ihrer Familien einsetzen und bereits erreicht haben, dass die Wasserpreise in ihrem Barrio so weit gesenkt wurden, dass sie für die Menschen dort gerade so bezahlbar sind. Solche „Errungenschaften“ bleiben jedoch leider eher die Ausnahme.

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In einem anderen Viertel wurde uns die „Wasserquelle“ – zum Trinken, Waschen und Kochen – gezeigt, aus der wirklich glasklares Wasser entsprang, welches sogar besser geschmeckt hat, als das Leitungswasser hier in der Stadt. Dann habe ich zum ersten Mal in meinem Leben einen Wasserfall gesehen. Das, was ich hier in den letzten Tagen erlebt und gesehen habe ist echt enorm und wie ich finde wirklich noch schwer zu begreifen. Nächste Woche folgen weitere Projektbesuche, Armutsviertel und Kinder, denen ich mit Mühe und Not auf Spanisch Bruchrechnung erklären soll. Ich glaube beim Nachhilfeunterricht lerne ich noch mehr als die Kinder, vor allem da ich hier leider keinen TI zur Hand hab, um die einfachsten Multiplikationen durchzuführen.

Das Wetter hier ist momentan mega heiß und wir haben uns alle schon einen kleinen – oder großen – Sonnenbrand geholt. Sobald wir jedoch einmal zeigen, dass uns warm ist, werden wir sofort von den Paraguayern ausgelacht, um uns danach anzuhören: „Warte nur mal ab, bis es Sommer wird, dann wirst du richtig leiden.“ Das macht Lust auf mehr. Aber wir wollen uns nicht beschweren! Das Gute an dem heißen Wetter ist beispielsweise, dass der Tereré noch besser schmeckt als sonst. Frisch gepresster Apfel- und Pfirsichsaft, macht die Hitze ebenfalls schon sehr viel erträglicher und eigentlich ist es ja auch ganz schön, dass es endlich mal warm ist. Eine Sache noch zum Busfahren. Ich hätte nicht gedacht, dass der Busverkehr in Buenos Aires überhaupt noch zu toppen ist, aber das was wir hier täglich so erleben, lässt die argentinische Hauptstadt definitiv blass aussehen. Wieso viel Geld ausgeben, um in den Heide Park zu gehen, wenn man für knapp 20 Cent einmal durch ganz Asunción fahren kann? Auch wenn es vielleicht übertrieben klingt, aber der Vergleich mit einer Achterbahnfahrt ist hier auf jeden Fall angebracht, denn durch fehlende Federung bei knatternden Bussen und einem Fahrstil, der sehr an Alarm für Cobra 11 erinnern lässt, kann es schon einmal vorkommen, dass man aus seinem Sitz fliegt, ungewollt in die Arme fremder Menschen fällt oder sich irgendeinen Wirbel ausrenkt. Menschen mit einem empfindlichen Magen oder voller Blase würde ich demnach nicht empfehlen hier Bus zu fahren, wer jedoch das Gefühl liebt, welches sich schlagartig  im Bauch ausbreitet, wenn man mit Vollgas über eine Kuppe fährt und dann den Berg herunter rast, der kann hier mit wenig Geld definitiv eine Menge Spaß haben.

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#3 Me voy

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Heute Mittag wurden wir nach knapp zwanzig Stunden Busfahrt sehr herzlich im winterlichen Paraguay empfangen und sind direkt mit offenem Fenster und T-Shirt bei 24° durch Asunción gedüst. Das Studentenwohnheim, in dem wir das nächste Jahr untergebracht sein werden, ist relativ zentral gelegen und echt schön. Supermarkt, Bäckerei und Fast-Food-Ketten sind ziemlich in der Nähe und auch wenn man es von einer Großstadt eigentlich nicht erwartet, ist es hier echt grün! Das was wir bis jetzt von Asunción gesehen haben, hat fast schon Kleinstadt-Flair, auch wenn das die Skyline zunächst nicht vermuten lies. Am Sonntag findet hier auf dem Gelände ein riesiges Fest statt und am Montag werden wir dann das erste Mal das Projekt besichtigen und uns anschauen, wo wir das nächste Jahr arbeiten werden.IMG_0888

Meine letzten Tage in Argentinien lassen sich ungefähr wie folgt beschreiben: Abends Glühwein, nachts Zittern und tagsüber willkürliches Einschlafen in allen möglichen öffentlichen Verkehrsmitteln. Nach dem die Woche am Samstagmittag nach der Spanischstunde endete, freuten wir uns alle auf das Wochenende, welches wir zumindest größtenteils selbst gestalten konnten. Nach kurzen Hin und Her fanden wir uns in einer Kleingruppe von fünf Personen zusammen und beschlossen spontan zu den Tangoweltmeisterschaften zu fahren – das darf man sich ja wohl nicht entgehen lassen, wenn man schon einmal in Argentinien ist! Ohne (gültige) Adresse, machten wir uns also auf dem Weg und nach zwei Stunden wildem Herumirren – bei dem wir übrigens an deiner ehemaligen Schule vorbeigekommen sind, Bodo! – standen wir plötzlich vor dem Obelisken. Von da aus, fragen wir uns dann vom Teatro Colón bis zum Tango-Haus durch und schafften es schlussendlich doch noch die Paare zu bestaunen, die es ins große Finale geschafft haben. Am Abend trafen sich dann fast alle Freiwillige im Hostel, um Asado zu essen und zu feiern.

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Den Sonntag verbrachten wir im Sonnenschein am Río de la Plata – mit der Skyline vor der Nase, Mate in der Hand und Facturas (eine Mischung aus mega leckeren Gebäckstücken) und weiteren Leckereien in unserem Picknickkorb. Danach sind wir über zwei Märkte geschlendert und haben noch ein Straßenkonzert gesucht. Insgesamt war es ein echt schöner Tag. Am Dienstagabend gab es dann ein Abschlussgrillen mit allen Freiwilligen. Ich esse ja eigentlich nicht so unglaublich gerne Fleisch, aber ich muss sagen: Das Asado in Argentinien wird seinem Ruf wirklich gerecht! So leckeres Fleisch habe ich glaube ich noch nie gegessen! Nun ja, und dann hieß es auch schon Abschied nehmen. Auch wenn ich echt traurig war mich von so vielen Menschen auf einmal verabschieden zu müssen, freue ich mich definitiv auf das, was vor mir liegt!

http://www.coveralia.com/videoclips/zafar-la-vela-puerca.php

#2 Schöne Luft

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Eine Woche bin ich jetzt schon in Buenos Aires und irgendwie komme ich sogar langsam an. Die ersten Tage waren genauso surreal wie beeindruckend: Hupende Autos, überfüllte Züge, die abgewrackten Geldscheine, bunte Busse und genauso farbenfrohe Häuser, tanzende und singende Menschen auf der Straße; ja eigentlich das ganze Stadtbild. Als ich gestern vor dem Obelisken auf der breitesten Straße der Welt stand, kam ich so langsam an den Punkt, dass ich verstand was eigentlich alles gerade passiert und wie sich mein Leben von jetzt auf gleich geändert hat.

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Ich wohne hier mit vier Mitfreiwilligen in einer WG in einem Stadtviertel was zumindest äußerlich einer amerikanischen Vorstadt ziemlich nahe kommt. Wir fahren jeden Tag ungefähr eineinhalb Stunden mit dem Bus zum Seminar und kommen erst spät abends wieder, was dazu führt, dass wir eigentlich nur schlafen oder kochen, wenn wir uns in unserer Wohnung befinden und dass obwohl wir zwei Balkons und einen riesigen Innenhof mit ansässiger Papageinfamilie haben. Aber die Anstrengung lohnt sich definitiv! Das Spanisch läuft immer besser, was auch mit an den vier Stunden Spanischunterricht pro Tag liegt (von subjunctivo und condicional kann man ja nie genug bekommen, nicht wahr, Tina?) und neulich haben Julia und ich uns eine ganze Busfahrt ohne Probleme mit einer Argentinierin unterhalten. Vor ein paar Tagen haben wir bereits einige Projekte besucht und wurden das erste Mal so richtig mit der Armut hier vor Ort konfrontiert. Wenn man mit eigenen Augen sieht, wie Menschen hier teilweise leben müssen, nimmt einen das echt mit. Die Fernsehscheibe dämpft halt schon so einiges ab. Trotz allem wurden wir hier total herzlich empfangen (gerade von den männlichen Bewohnern Argentiniens) und es kam schon häufiger vor, dass wir gefragt wurden, wo genau wir herkommen und was wir hier machen.

IMG_0848Eine Sache noch zum Wetter. Die erste Nacht war der absolute Horror. Die Heizung war ausgefallen und ich habe mich, weil ich total müde war, einfach ohne nachzudenken ins Bett gelegt – nicht einmal Socken hatte ich an. Als ich dann bei circa null Grad aufgewacht bin und am ganzen Körper gezittert habe, habe ich mich doch schon etwas über meine Dummheit geärgert. Die nächsten Nächte wurde dann nur noch in Pullover, Socken, Schal und mit zwei Wolldecken über dem Schlafsack geschlafen. Dein Kissen ist echt bequem, Alina! Mittlerweile wird es aber schon echt wärmer und heute konnte man sogar teilweise im Top rumlaufen. Gestern und heute haben wir Buenos Aires als Touristen erkundet, waren am Schreibtisch der Präsidentin, am Plaza de Mayo, am Obelisken, in La Boca und haben heute eine Bootstour durch das Tigredelta gemacht. Mir geht es an sich total gut und ich finde es schön zu wissen, dass man nicht alleine ist und dass es noch 63 andere Menschen gibt, die gerade genau dasselbe wie ich machen. Ich bin mir sicher, dass das Jahr eine einmalige Erfahrung wird und ich bin unheimlich dankbar, dass ich hier sein darf!

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